Neue Horizonte für Öffentlichkeitsbeteiligung auf der COP24
11.01.2019
Beteiligung spielte auf der diesjährigen UN-Klimakonferenz COP24 in Kattowitz eine zentrale Rolle.
Am zweiten Tag der COP24 stellte Sir David Attenborough, eine weltweit wohlbekannte Stimme, vor der Vollversammlung der COP Botschaften der Menschen vor – die People’s Seat Address. Sie bestand aus einer zweiminütigen Collage aus Videoaufzeichnungen aus den sozialen Medien, Tweets und Posts, die in den vorhergehenden Monaten unter dem Hashtag #TakeYourSeat erschienen sind und sich an die Entscheidungsträger auf dem Klimagipfel richten.
Medien
People's Seat Address
In einem jüngst erschienenen Forschungsartikel habe ich Grenzen und Chancen für die Beteiligung der am stärksten Betroffenen bei den Klimaverhandlungen über Verluste und Schäden aus der Sicht des Völkerrechts untersucht. Ein wichtiges und ernüchterndes Ergebnis war, dass es derzeit im Grunde keinen Raum gibt, in dem die durch den Klimawandel am stärksten Betroffenen ihre Erfahrung der Existenz mit Verlusten und Schäden jenen mitteilen können, die mit ihren Entscheidungen das gegenwärtige und künftige Leben und die Lebensgrundlagen der Betroffenen prägen.
Deshalb schien der People’s Seat auf den ersten Blick eine aufregende neue Idee zu sein. Die Chance, dass all jene, die nicht an den Verhandlungen teilnehmen können und deren Stimme so lange ungehört blieb, einen Platz am Tisch erhalten, ist eine bedeutende, wenn nicht revolutionäre Entwicklung. Und die Worte Sir Attenboroughs schienen nicht weniger als das zu versprechen, als er sagte, der Sitz „wird auf der UN-Klimakonferenz COP24 platziert und wird Ihnen und Millionen Menschen in aller Welt Gelegenheit geben, virtuell teilzunehmen und zu diesem entscheidenden Zeitpunkt direkt zu den Entscheidungsträgern zu sprechen. Das ist unsere Chance, kollektiv etwas zu bewirken. Uns Gehör zu verschaffen. Gemeinsam können wir den Staatschefs eine Botschaft schicken, die sie nicht ignorieren können und die sie auffordert, jetzt zu handeln.“ In die Praxis umgesetzt sah der People’s Seat jedoch gar nicht mehr so sehr wie ein ambitionierter Reformvorschlag aus, sondern eher wie das, was er eigentlich ist: ein Stuhl.
Nach der Ansprache fand sich der Stuhl oben bei den Rolltreppen im Hauptfoyer des Konferenzgebäudes, wo er, weitab der Verhandlungsräume, fast die ganzen zwei Wochen lang leer herumstand.
Dort kam ich auch mit einem Vertreter von Grey London ins Gespräch, einer Partnerorganisation, die gemeinsam mit dem UNFCCC-Sekretariat den People’s Seat erarbeitet hatte. Er erklärte mir, dass die Initiative über Twitter, Facebook und andere soziale und herkömmliche Medien 1,3 Milliarden Menschen erreicht. Aber wie können sich so viele Menschen erfolgreich engagieren, wenn ihre vielfältigen Stimmen auf ein Zweiminutenvideo, bestehend aus kurzen, zackigen O-Tönen, eingekocht werden?
In den Konferenzräumen der Spodek Arena in Kattowitz hörte ich immer wieder die Formulierung „Party-driven process“ (durch die Vertragsparteien gesteuerter Prozess). Das uralte Mantra, das gläubige Unterhändler in einem multilateralen, vorwiegend zwischenstaatlichen Prozess vor sich hin murmeln, in dem die Staaten als Vertragsparteien das letzte Wort haben. Staaten legen die Tagesordnung fest. Sie entscheiden über die Spielregeln. Und wenn sie sich einig sind, können sie die Regeln ändern. Sie können nach Belieben Beobachter von Sitzungen ausschließen. Da muss ich immer an meine erste Erfahrung in einer multilateralen UN-Verhandlung denken, es war auf einer Vollversammlung, einschließlich Beobachter, auf der eine geschlagene halbe Stunde keine einzige Vertragspartei das Wort ergriff. Nach mehreren Versuchen des Vorsitzenden, den Ball ins Rollen zu bringen, stellte schließlich eine Vertragspartei den Antrag auf „informelle Vorgespräche“ – eine Verhandlungssituation, in der sich normalerweise nur Staaten mit Interesse an einem Problem informell beraten, um es zu lösen. Der Vorsitzende stimmte zu, und alle Vertragsparteien begaben sich aus dem Plenarsaal in einen angrenzenden kleineren Raum und ließen die Beobachter und die internationalen Organisationen zurück.
Persönlich glaube ich, dass kreative Lösungen wie der People’s Seat ein Schritt in die richtige Richtung sind. Ob durch Absicht oder Zufall lenkt der People’s Seat die Aufmerksamkeit auf das Fehlen jener am Verhandlungstisch, die die schlimmsten Folgen des Klimawandels zu tragen haben. Natürlich nehmen NGOs als Beobachter an diesen Gipfeltreffen teil, und man könnte vorbringen, dass die betroffenen Bürger durch ihre Länderdelegationen vertreten werden, die selbst zuweilen aus betroffenen Personen bestehen (zum Beispiel bei den Kleinen Inselentwicklungsländern, SIDS). Aber immer wieder haben die Diskussionen und Ergebnisse unter der UNFCCC den Interessen der Vertreter der am stärksten Betroffenen entgegengewirkt, zum Teil aufgrund begrenzter Rederechte und nicht vorhandener Stimmrechte (im Fall der Beobachter) sowie ungleicher Machtverteilung bei den Verhandlungen (wie im Fall der am wenigsten entwickelten Länder und SIDS).
Die Erfahrungen der vom Klimawandel am stärksten Betroffenen kann auch durch Geschichtenerzählen in die Verhandlungen eingebracht werden. Während der COP24 brachte das NGO-Bündnis Climate Action Network (CAN) in ihren täglichen ECO Newsletters ein neues Segment mit dem Titel „Voices from the Frontlines”, an dem ich als Redakteur mitwirken durfte. Die ECO Newsletters, die online erscheinen und jeden Morgen auf der COP verteilt werden, finden unter den Delegierten eine große Leserschaft und werden wegen ihres häufig zynischen, glasklaren Stils geschätzt.
Die 15-jährige schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg erklärte den Delegierten auf der COP24 in ihrer Ansprache: „Wenn Lösungen innerhalb des Systems so unmöglich zu finden sind, sollten wir vielleicht das System selbst ändern.“ Also kann vielleicht auch die UNFCCC in punkto Beteiligung etwas lernen von Initiativen wie dem Virtual Summit, den das Climate Vulnerable Forum (CVF) organisiert hat. An der 24-stündigen Konferenz, die im November stattfand, konnte jeder mit Internetzugang teilnehmen, um „durch kreative Anwendung leicht zugänglicher Mittel unsere Entschlossenheit zur Reduzierung von Emissionen zu demonstrieren und um Transparenz und Inklusion zu erhöhen und zugleich knappe Ressourcen zu schonen“.
Aber Beteiligung war auf der COP24 noch aus einem anderen Grund ein heißes Thema. Während des Gipfels wurde mehreren akkreditierten NGO-Beobachtern die Einreise nach Polen verwehrt; einige wurden inhaftiert, umfangreichen Verhören unterworfen und an der Weiterreise nach Kattowitz gehindert. In einem Briefing für Beobachter aus der Zivilgesellschaft erklärte die polnische Konferenzleitung, die Grenzbeamten befolgten nur Vorschriften und die betroffenen Personen stünden entweder auf einer schwarzen Liste, weil sie „eine Bedrohung der öffentlichen Ordnung“ darstellten, oder hätten keinen gültigen Pass. Diesen Maßnahmen ging ein von der polnischen Regierung unter dem Vorwand der „Sicherheit“ vor der Klimakonferenz erlassenes Gesetz voraus, das die polnische Polizei autorisierte, persönliche Daten der COP24-Teilnehmer ohne deren Zustimmung zu sammeln; ferner untersagte es für die Dauer der Konferenz Spontandemonstrationen in Kattowitz. Führende UN-Menschenrechtsbeauftragte zeigten sich besorgt, dass dieses Gesetz völkerrechtlich geschützte bürgerliche und politische Menschenrechte verletzen könnte. Ich hatte auch die Gelegenheit, gemeinsam mit skandierenden Aktivisten und besorgten Bürgern am Klimamarsch teilzunehmen. Umgeben von einem Heer von Bereitschaftspolizisten, bewaffnet mit Schilden und Tränengaskartuschen, war mir ziemlich unbehaglich zumute.
Unser IASS-Kollege und Humboldt Climate Protection Fellow Adrian Martinez hat unlängst eine Forschungsarbeit zur Rolle der öffentlichen Beteiligung als Menschenrecht im Kontext der Klima-Governance vorgelegt. Auf der COP24 hatte ich außerdem das Vergnügen, ein offizielles COP-Side Event über „Public Participation in Climate Decision-making” (Öffentliche Beteiligung bei klimapolitischen Entscheidungen) zu moderieren; Mitveranstalter war die lateinamerikanische NGO La Ruta del Clima, die von Martinez geleitet wird, und am bunt gemischten Diskussionsforum beteiligten sich Vertreter von argentinischen, deutschen, costaricanischen und internationalen NGOs sowie das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR). Ein Kernpunkt der Diskussion betraf die Notwendigkeit einer Stakeholder-Reform unter der UNFCCC und die Wichtigkeit eines Menschenrechtsansatzes bei klimapolitischen Entscheidungen auf allen Ebenen.
Letztlich war der People’s Seat sicherlich nicht der einzige skurrile Gag auf der COP24. Eine Crowdfunding-Installation von VISA im Hauptfoyer der Konferenz ermöglichte Passanten, immer wieder mithilfe einer Kreditkarte eine Spende von 3 Euro für den Anpassungsfonds zu leisten. Die Botschaft war wohl ein Mix aus bitterem Zynismus, Bewusstseinsbildung für die unzureichende Anpassungsfinanzierung und heikler Eigenwerbung.
Nächstes Jahr wird, nach einem Vorbereitungstreffen in Costa Rica, die COP25 in Chile stattfinden. Nebenbei bemerkt ist Costa Rica der Geburtsort des Abkommens von Escazú, einem neuen regionalen Vertrag, der das Menschenrecht auf öffentliche Beteiligung in Lateinamerika und der Karibik ausdehnt. Vielleicht können ja die Costaricaner die Agenda der COP25 in Richtung stärkere Einbeziehung von Menschenrechten und öffentlicher Beteiligung in die UNFCCC und die Umsetzung des Pariser Abkommens lenken.